In Windeseile

WAZ Gelsenkirchen vom 14. September 2010

Noch zum Monatsende sollen die beiden Windkraftanlagen auf der Halde Scholven den ersten Strom liefern

Rote Begonien im Balkonkasten zieren das Fenster des Bauwagens, wo der Wachdienst Stellung bezogen hat. Über dem Container der Kranfirma weht die Fahne Mecklenburg-Vorpommerns im Wind, der über die Halde Scholven pfeift. In 135 Metern über Feldhauser Straße und Bellendorfsweg fehlen den Männern vom Bau Zeit, Gelegenheit und Muße, den Arbeitsplatz in luftiger Höhe noch individueller auszugestalten. Bis Ende des Monats sollen sich die beiden Windräder drehen und den auf diese Weise gewonnenen Strom in das Netz der ELE einspeisen.

Die beiden Türme, schlanke Konstruktionen aus Stahl und Beton, die auf einem Fundament mit einem Durchmesser von 17,5 Metern ruhen, recken sich knapp 100 Meter in den Himmel über Scholven. In diesen Tagen werden zunächst die beiden Maschinenhäuser und anschließend jeweils drei Flügel, jeder 42 Meter lang und von innen begehbar, montiert. „Zuerst wird der senkrechte Flügel angesetzt und der Rotor ein Stück weitergedreht, dann folgt der nächste Flügel“, erläutert Michael Dorn, bei der ELE zuständig für Vertrieb, Geschäftskunden und Systemlösungen, die Stück-für-Stück-Vorgehensweise. Die Einzelteile hievt ein Monstrum von Autokran in die Höhe, der 1200 Tonnen Traglast bewegen und seinen Teleskoparm bis auf 100 Meter ausfahren kann. Ist die Windkraftanlage auf dem nördlichen Teil der Halde fertiggestellt, zieht der Kran ein paar Meter hinauf in Richtung Süden, wo oberhalb des Gipfelkreuzes und in Nachbarschaft des Sendeturms die zweite Stahlbetonröhre steht und noch der Vollendung harrt. Knapp zwei Wochen Zeit für die Montage verbleibt noch, dann ist die Windkraftanlage auf der Halde Scholven „optisch fertigt“.

Was folgt, sind umfangreiche Sicherheitsprüfungen, die der endgültigen Inbetriebnahme vorausgehen müssen. Michael Dorn: „Wir haben hier eine bis zu neunfache Sicherheit.“ Die zum Beispiel dafür sorgt, dass sich die Windräder der Windrichtung entsprechend ausrichten. Die den Sonnenstand und damit die Verschattung berücksichtigt und bei zu starkem Wind auch die Rotoren abbremst.

Rund 2300 Kilowatt Strom werden die beiden Windräder in naher Zukunft liefern. „Das reicht aus, um einen Stadtteil in der Größe wie Scholven mit Strom zu versorgen“, so Michael Dorn. In den Maschinenhäusern auf den Stahlbetonröhren sind die getriebelosen Generatoren untergebracht, die das stete Drehen der Rotorachse in elektrische Energie umwandeln. So wie ein Dynamo am Fahrrad, nur eben viel, viel größer und leistungsstärker. Nachgeschaltete Wechselrichter sorgen dafür, dass der Strom entsprechend den Erfordernissen des Stromnetzes „aufbereitet“ wird. Über eine Leitung, die mit einer Spülbohrung im Westen durch den Haldenkörper getrieben wurde, wird an der Feldhauser Straße in Höhe des Gipswerkes der Anschluss an das Stromnetz geschaffen.

Der Blick von der Halde Scholven ermöglicht auch den Blick in die Energie-Historie und auf den Strukturwandel des Ruhrgebiets. Vereinzelt sind noch Fördergerüste zu erkennen, die die Standorte von Bergwerken markieren. Am Horizont im Westen das Steinkohlekraftwerk in Walsum, tief im Osten die Baustelle des Kraftwerkes in Datteln. Dazwischen, auf den Spargelfeldern in Kirchhellen oder auf der Halde Hoppenbruch im Hertener Süden, immer mehr Windräder. Die beiden auf der Halde Scholven werden nicht die letzten sein. Michael Dorn: „Wir können uns ähnliche Windenergie-Projekte auch auf Halden in Bottrop und Gladbeck vorstellen.“

Autor: Wolfgang Laufs

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